Schriftliches Urteil im Högel-Prozess veröffentlicht – Täter laut Gericht schuldfähig

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Nachdem Niels Högel im letzten Prozess im Juni bereits wegen 85 Morden zu lebenslanger Haft mit besonderer Schwere der Schuld verurteilt wurde, hat das Landgericht Oldenburg heute (13. September) die schriftliche Urteilsbegründung veröffentlicht. Auf 149 Seiten geht die Behörde dabei jedem Fall nach. Wir haben die wichtigsten Fakten zusammengefasst.
 
Laut Urteil habe Högel seine Patienten mit Medikamenten in lebensgefährliche Situationen gebracht, um seine Langeweile zu bekämpfen und sich bei Reanimationen als Held zu präsentieren. Zudem habe er viele Ärzte und Pflegekollegen für inkompetent und sich selbst für den besseren Arzt gehalten.
 

Gericht: Högel kann lügen

Zwar habe er meist „gesundheitlich angeschlagene“ – also schwer kranke – Patienten ausgesucht, aber keine festen Kriterien gehabt. Später sei er zunehmend gleichgültig vorgegangen. Insgesamt habe Högel 100 Patienten ermordet, wegen 6 Taten wurde er bereits früher verurteilt.
 
Zwar attestiert das Gericht Högel eine Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen, histrionischen (extremes Streben nach Beachtung), dissozialen und weniger zwanghaften Anteilen. Unter Belastung sei zudem eine emotionale Labilität und Verstimmungsneigung mit ängstlichen und depressiven Phasen gegeben. Trotz zeitweiliger Abhängigkeiten sei keine Abhängigkeitserkrankung vorhanden gewesen.
 
Seine Schuldfähigkeit sei aber nicht eingeschränkt gewesen. Schon vor den Prozessen habe er in „abgeklärter Weise“ Falschdarstellungen abgeben können – also Lügen.
 

Freundin bei Unfall gestorben

Einen Blick auf Högels mögliche Motive und die mögliche Mitschuld seiner Vorgesetzten wirft sein Lebenslauf, den das Urteil aufgreift. So erlitt sein Vater 2000 einen Herzinfarkt und musste mehrfach operiert werden. Außerdem starb Högels damalige Freundin bei einem Unfall. Die daraus resultierenden Ängste vor seinem Tod brachten Högel 2001 in eine psychiatrische Behandlung. Eine Psychotherapie trat er jedoch entgegen der Empfehlung nicht an.
 

Klinikum Oldenburg stellte Högel ohne Untersuchung frei

Später, so das Urteil, äußerte sich Högel gegenüber seiner neuen Freundin abfällig über andere Pfleger und Assistenzärzte, die sich vor Reanimationen fürchteten. Die Beziehung hielt nicht. 2002 wurden Auffälligkeiten während Högels Schichten bemerkt. Im Jahr 2000 begannen Högels Morde im Klinikum.
 
Statt dem Verdacht nach zu gehen, hätten die Verantwortlichen – die Namen hat das Gericht unkenntlich gemacht – aber Högel vor die Wahl gestellt. Entweder solle er in den Hol- und Bringedienst wechseln. Oder sofort freigestellt werden und für die nächsten Monate sein volles Gehalt und ein gutes Arbeitszeugnis erhalten. Högel entschied sich für die Freistellung Versuche des Betriebsrates, den Grund dafür zu erfahren, wurden demnach abgeblockt.
 

Erst in Delmenhorst aufgeflogen

Danach wechselte er ins Delmenhorster Krankenhaus an der Wildeshauser Straße (heute das Josef-Hospital). Nach einem schweren Autounfall 2003 entwickelte Högel Panikattacken, so das Gericht. Zeitweilig wurde er von einem Medikament abhängig. Im selben Jahr lernte er seine Ehefrau kennen. 2004 heirateten sie, im selben Jahr kam ihre Tochter zur Welt. Dabei kam es zu Komplikationen. Der geschockte Krankenpfleger war nicht in der Lage, zu helfen.
 
2005 wurde er im Delmenhorster Krankenhaus auf frischer Tat ertappt, als er einem Patienten ein lebensgefährliches Medikament verabreichte, um ihn später wiederzubeleben. Eine spätere Tätigkeit des Rettungsdienstes wurde wegen einer Alkoholabhängigkeit, die Högel nach seiner Kündigung in Delmenhorst entwickelte, beendet. 2006 bekam er wegen versuchten Totschlags eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren. Der Bundesgerichtshof hob das Urteil 2007 auf. 2008 folgte stattdessen eine Verurteilung wegen Mord zu sieben Jahren und sechs Monaten Haft. Seit Mai 2009 ist Högel in Strafhaft.
 

2014 erneut verurteilt

Erst in der Folge intensivierte die Staatsanwaltschaft Oldenburg ihre Ermittlungen. Vor allem der Hinweis einer späteren Nebenklägerin trug laut Urteil dazu bei, dass 2014 ein weiterer Prozess folgte. Damals erhielt Högel wegen zweifachem Mord, versuchtem Mord mit gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen und einer gefährlichen Körperverletzung eine lebenslange Freiheitsstrafe. Die besondere Schwere der Schuld wurde auch damals festgestellt. Erst Ende 2014 richtete die Polizei eine Sonderkommission ein.
 
Wir haben im Juni über die mündliche Urteilsverkündung berichtet.
 
Foto: Im Juni wurde Högel wegen 85 weiteren Morden verurteilt, heute gab es vom Gericht die schriftliche Urteilsverkündung.
 

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2 Kommentare
    • Dennis Rüter sagte:

      Damit meint das Gericht in seinem Urteil, dass auch schwer kranke Patienten Opfer von Högel wurden. Ebenso wie Patienten, die nicht schwer krank waren. Wir haben die Formulierung angepasst, damit sie klarer wird.

      Antworten

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