Neujahrsempfang des DGB Stadtverbandes Delmenhorst: Wie steht’s um die Entwicklung der Tarifverträge?
Am 30. Januar 2025 hatte der DGB Stadtverband Delmenhorst zum traditionellen Neujahrsempfang in die Markthalle Delmenhorst eingeladen. Die diesjährige Veranstaltung stand unter dem Motto: „Wie sieht die Entwicklung der Tarifverträge in Deutschland aus und wie gehen wir damit um.“ Absehbar war, dass es nicht das einzige Thema sein würde, das den besorgten Anwesenden unter den Nägeln brennt. Tatsächlich schwebte Merz‘ Schatten über allem.
Begrüßt wurden die Gäste von Timo Kamm (IG Metall), dem Vorsitzenden des DGB Stadtverbandes Delmenhorst, der auf die Agenda etwa in den Bereichen des sozialen Wohnungsbaus, bezahlbarer Mieten und Bildung für alle einging, darüber hinaus die Entwicklung der Tarifverträge in den Fokus stellte. Angesichts des noch gärenden Unionsvotums mit Mehrheitsbildung durch die AfD, konnte die Positionierung gegen Rechts nicht außenvor bleiben. Nach einem Moment des Innehaltens begrüßte Kamm die Anwesenden, bedankte sich für deren Erscheinen und kündigte daraufhin die Gastredner an. Den Anfang machte Oberbürgermeisterin Gerlach.
Die Arbeitswelt befindet sich im Wandel
Die Delmenhorster Oberbürgermeisterin Petra Gerlach verband in ihrem Grußwort den Blick auf die anstehenden Herausforderungen des kommenden Jahres mit einer Retrospektive auf das Jahr 2024. So konstatierte sie gleich zu Beginn, die Arbeitswelt habe sich in den vergangenen Jahren gewandelt; nicht nur durch die Digitalisierung, sondern auch durch den demografischen Wandel, die Globalisierung und die fortschreitende Umstrukturierung von Branchen und Arbeitsplätzen. Die neuen Realitäten stellen, so Gerlach, spezielle Anforderungen an die tariflichen Verhandlungsparteien.
Tarifverträge seien in diesem Sinne ein Grundpfeiler für gerechte Arbeitsbedingungen und faire Entlohnung in unserem Land. „Die Tarifautonomie, die in Deutschland ein hohes Gut ist, hat es in der Vergangenheit immer wieder ermöglicht, den Dialog zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern auf Augenhöhe zu führen. Tarifverträge kommen nicht nur den Beschäftigten zugute, sondern auch den Unternehmen und der Gesellschaft insgesamt. Sie sorgen für soziale Stabilität.“
Plädoyer für einen respektvollen Umgang
Ebenso berichtete sie aus der Perspektive als „Arbeitgeberin des öffentlichen Dienstes“, davon, dass die Arbeitsintensität in der Verwaltung stark zugenommen habe. Zu beobachten, bereits bei der Corona-Pandemie, als die von Bund oder Land verordneten Maßnahmen hier vor Ort umgesetzt werden mussten, die bei vielen auch auf Kritik und Unverständnis gestoßen seien. „Die Menschen unterscheiden nicht mehr, ob die Mitarbeitenden lediglich aufoktroyierte Maßnahmen umzusetzen haben.“ Und so seien die Beschäftigten im öffentlichen Dienst für Dinge massiver Kritik ausgesetzt, die sie selbst weder initiiert noch zu verantworten haben.
„Immer wieder erleben wir, dass manche Menschen der Meinung sind, ein vernünftiger Umgang miteinander könne an der Tür abgegeben werden.“ Das sei glücklicherweise die Minderheit, aber es mache etwas mit den Beschäftigten, denen so etwas widerfährt. In einer Gesellschaft, die sich mit zahlreichen Problemen auseinandersetzen müsse, gehe dadurch etwas Hochwichtiges innerhalb der Gemeinschaft verloren: Solidarität. „Gewerkschaftliches Tun baut auf eben diese Solidarität und den respektvollen Umgang miteinander auf.“ Und so schloss sie mit den Worten: „Möge es ein Jahr des Dialogs für eine zukunftsfähige und lebenswerte Arbeitswelt werden.“
Merz‘ Tabubruch überschattet alles
Sichtlich betroffen betrat Kornelia Haustermann, Bezirksgeschäftsführerin Ver.di Weser-Ems das Rednerpult: „Ich hätte nicht gedacht, dass ich so schweren Herzens hier herkomme. Gestern ist etwas passiert, was nicht hätte passieren dürfen.“ Sie sei gerade an einem Plakat von Friedrich Merz vorbeigefahren mit dem Slogan „Für ein Land, auf das wir wieder stolz sein können“. Sie sei aber gerade in diesem Moment alles andere als stolz.
„Plötzlich ploppten Bilder von klatschenden AFD-Menschen auf, die begeistert waren. Ich fasse es nicht, dass man einen Tag, an dem wir Opfer in Magdeburg und Aschaffenburg zu betrauern haben, dazu nutzt, den politisch zu instrumentalisieren und Grundrechte aus dem Weg zu räumen.“ So könne man nicht zur Ruhe kommen, sich nicht darauf konzentrieren, die wirklichen Probleme dieses Landes zu lösen, nämlich nicht die Migrationspolitik, sondern die Klimakrise und die Konsistenz der Wirtschaft.
Ein Skandal: „Ich habe geweint“
Friedrich Merz sei es völlig gleichgültig gewesen, von wem er die Zustimmung bekommt. Das habe er auch gesagt. Wenn die Demokraten nicht zustimmen, dann hole er sich die Stimmen eben von Rechtsradikalen. „Ich befand mich auf dem Heimweg, als ich die Nachricht von Merz‘ Tabubruch hörte, und habe geweint. Ich habe wirklich geweint.“
Die soziale Schere spreizt sich immer weiter
Wieder auf die eigentliche Thematik der Gewerkschaften zurückkommend, informierte sie die Anwesenden über die gegenwärtig laufenden Tarifrunden der Beschäftigten im öffentlichen Dienst und der Deutschen Post AG. Anhand von Grafiken zeigte sie auf, wie es um die soziale Ungleichheit in Deutschland steht und dass die Schere von Einkommen und Besitztümern in den gesellschaftlichen Schichten zunehmend dramatisch auseinanderklafft.
Detailliert ging sie auf die verschiedenen Lohnbereiche und Forderungen der Gewerkschaft ein, erläuterte weshalb die wo wie hoch ausfallen und welche Umfrageergebnisse damit reflektiert werden. Die Tariflöhne in Deutschland stiegen im Jahr 2024 nominal gegenüber dem Vorjahr um durchschnittlich 5,5 Prozent. Real ergibt sich ein Plus von 3,2 Prozent. Nachholbedarf bleibt: Preisbereinigt liegt das Niveau weiterhin deutlich unter dem von 2020. Für viele bedeute das trotz Beschäftigung ein Leben ohne soziale Teilhabe. Das dürfe so nicht sein.
Steuern sind wichtig: „Ich finde Steuern gut“
Weiterhin war ihr wichtig, die Bedeutung von Steuern für die Finanzierung eines sozialgerechten Staates einzuordnen. „Ich finde Steuern gut!“ Selbstverständlich benötige Deutschland Geld für zukunftsweisende Projekte wie den Klimaschutz, die über Jahrzehnte hinweg kaputtgesparte Infrastruktur und mehr. Eben all das, worauf ein lebenswertes Miteinander aufbaue. Da sei es nicht nur gerecht, stattdessen zwingend notwendig, Besserverdienende und erst recht die Reichen höher zu besteuern. Und das sei keine Neiddebatte: „Ich möchte, dass es jedem mindestens so gut geht wie mir.“ Statements wie „Arbeit muss sich wieder lohnen“ empfinde sie demgegenüber als schamlos, zumal das nur bedeute, die wirklich sozial Schwachen zunehmend auszugrenzen.
Schwebende Musik als Kontrast zu hektischen Zeiten
Mit spannend schwebender Musik der besonderen Art wurden die Anwesenden von der Pakaschen Band der Musikschule Delmenhorst zwischen den Reden unterhalten. So zeigten die jungen Musikerinnen und Musiker an Instrumenten wie etwa dem Konzertxylophon, dem Metallophon und E-Piano, aber auch an Bass und E-Gitarre sowie Drums, wie Timing-feste Klänge ineinander verwoben werden können. Momente zum Träumen fernab von Hektik, die man sich in der heutigen Zeit sicherlich häufiger wünscht. Verdientermaßen kam der Applaus der Gäste aus voller Seele.
Geht zur Wahl und nutzt eure Stimme!
Zumal Dorothee Koch, Geschäftsführerin des DGB Region Oldenburg-Ostfriesland, krankheitsbedingt nicht teilnehmen konnte, sprang Christian Altkirch, Gewerkschaftssekretär beim DGB, mit dem Schlusswort für sie ein. Vehement forderte er „Geht zur Wahl und nutzt eure Stimme!“. Auch er untermauerte seine Worte mit Hinweisen auf die aktuellen Geschehnisse.
Freundschaftlich und doch ein wenig bedrückend
Die Atmosphäre an diesem Abend war freundschaftlich, die allermeisten kennen sich seit vielen Jahren und streiten für dieselben Ziele. So gab es auch nach dem offiziellen Teil zahlreiche interessante Gespräche. Anwesend waren etliche Lokalpolitiker, so etwa der SPD-Bundestagskandidat für den Wahlkreis 28 Hamza Atilgan und Lothar Elsen vom SPD-Unterbezirk, Urgestein Hartmut Rosch von der Delmenhorster Liste und Rolf Dominke, Co-Vorstandssprecher Bündnis 90/Die Grünen. Und irgendwie war es auch ein wenig bedrückend. Allen steckte der Schatten von Friedrich Merz offensichtlich tief in den Knochen.

Lothar Elsen vom SPD-Unterbezirk und Hamza Atilgan, SPD-Bundestagskandidat für den Wahlkreis 28, im Gespräch
((Titelbild von links nach rechts: Kornelia Haustermann, Bezirksgeschäftsführerin Ver.di Weser-Ems, Timo Kamm (IG Metall), Vorsitzender DGB Stadtverband Delmenhorst, Petra Gerlach, Oberbürgermeisterin Delmenhorst, Christian Altkirch, Gewerkschaftssekretär DGB))
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