Ministerpräsident Stephan Weil in Delmenhorst: Klare Statements zu Demokratie, Sicherheit, Migrationspolitik und Menschlichkeit

Der SPD-Landesvorsitzende und niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil stellte sich am 01. Februar 2025 in der Delmenhorster Markthalle den Fragen der Anwesenden, darunter etliche langjährig verdiente SPD-Mitglieder, die im Verlauf der Veranstaltung geehrt werden sollten. Anwesend waren auch die SPD-Bundestagsabgeordnete Susanne Mittag und der SPD-Bundestagskandidat Hamza Atilgan. Den Anfang moderierte Lars Konukiewitz, Vorsitzender der SPD-Landesgruppe Delmenhorst, der das Auditorium begrüßte, einen Überblick über die Agenda der Veranstaltung gab und sogleich mit betroffener Konfrontationsbereitschaft auf das aktuelle Tagesgeschehen einging.

Dass nach dem Eklat in Berlin vom vergangenen Mittwoch zwei Tage später das Undenkbare doch noch abgewendet werden konnte, der Bundestag schlussendlich gegen Merz‘ Antrag zur Migrationspolitik gestimmt hatte, war haarknapp. Bereits zu Beginn der Veranstaltung waren die Betroffenheit, aber auch der Pragmatismus mit unbedingtem Bekenntnis zur Demokratie förmlich greifbar. Konukiewitz‘ Worte erreichten sensibel offene Ohren. Immerhin hatte sich die gesamte Riege derer versammelt, die sich seit Jahrzehnten vor Ort und im Landkreis für soziale Gerechtigkeit auf den unterschiedlichsten Ebenen einsetzen.

Der Wolf hat seinen Schafspelz abgelegt

Im Anschluss übergab er das Wort an Hamza Altigan, aktueller SPD-Bundestagskandidat für den Wahlbezirk 28, der sich mit nachdenklichen Worten an die Anwesenden wandte: „Im aktuellen Wahlkampf bin ich viel unterwegs. Während der Fahrten denke ich viel nach.“ Wie zu erwarten widmete auch er sich sogleich mit eindringlichen Worten dem vom CDU-Kanzlerkandidaten initiierten Schauspiel der vergangenen Woche im Deutschen Bundestag. „Der Wolf hat seinen Schafspelz abgelegt.“ Umso mehr mache er sich Sorgen über die Zukunft der ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger als auch seine eigene als Auswanderer. Immer stärker werde gegenwärtig über Ausländer und sozial Schwache gehetzt. Seiner Überzeugung nach zu Unrecht. So sehe er darin eher ein Instrument, die Spaltung zu verschärfen. Welche Kreise es darauf abgesehen haben, sei allseits bekannt. Und das wollte er so nicht hinnehmen: „Vielmehr muss die Gesellschaft zu einem Miteinander mit Anstand und Vernunft zurückkehren.“

Keine Vereinfachung auf rechte Pseudoargumente

Eindeutig bekannte Atilgan sich zu Scholz als besonnenem Kanzlerkandidaten. „Scholz gibt uns den Rückhalt.“ In schwierigen Zeiten habe er grundsätzlich Fakten in den Mittelpunkt gestellt und nach parteiübergreifendem und nicht minder wohlbedachtem Konsens gesucht. Das sei in heutigen Zeiten alles andere als einfach, was man unschwer an der herrschenden Polemik der nationalistischen Parteien festmachen könne. „Politik wird häufig mit einfachen Parolen geschrieben. Aber Politik ist nicht einfach.“ Ihm geht es darum, die Vereinfachung auf rechte Pseudoargumente nicht zuzulassen.

Auch könne er nur jedem raten, selbst mit anzupacken und aktiv zu werden. „Wenn man selbst nicht aktiv wird, um etwaige Missstände zu beseitigen, sind nicht immer nur die anderen schuld.“ Demokratie lebe von Initiative, von Gemeinsamkeit und davon füreinander einzustehen. Weiterhin gelte es als dringende Maxime, den Schwächeren zu helfen. Das eigentliche Problem sei nicht die Migration, sondern die ungleiche Vermögensverteilung. Politik brauche Ehrlichkeit und Menschlichkeit. Immerhin werde die von Menschen für Menschen gemacht. „Und da geht es ausschließlich um das Wohl der Menschen, für die ich verantwortlich bin, und nicht um mein Ego.“

Hamza Atilgan: „Es geht ausschließlich um die Mensche für die ich verantwortlich bin, und nicht um mein Ego.“

Ehrung der Jubilare für Jahrzehnte der Parteizugehörigkeit

Bevor die Genossen zur offenen Fragestunde kamen, stand als nächster Programmpunkt die Ehrung der langjährigen Mitglieder an. Viele der politischen Urgesteine der Lokal- und Regionalpolitik waren anwesend, allerdings – dem Alter, Krankheiten oder schlichtweg Terminen geschuldet – waren manche auch verhindert. Unbesehen dessen galten die Worte von Lars Konukiewitz selbstverständlich für alle: „Danke für den Einsatz für eine Demokratie, die manchmal nicht einfach, aber eine immerwährende Aufgabe ist.“ Die Ehrenurkunden und Blumen wurden von Stephan Weil überreicht. Zu den Jubilaren gehörten beispielsweise Ewald Helmerichs, Rudolf Mattern, Vorsitzender DRK-Delmenhorst, Renate von der Wöste, Landesvorstands-Ehrenmitglied des VdK, Erika Boese, Stadtarchivar Christoph Brunken, Simone Harthus, Bärbel Leuckert, der Vorstandsvorsitzende des AWO Kreisverbandes Delmenhorst Harald Groth, Heidemarie Runge, Karl-Günter Ziesmer und weitere.

Die Jubilare gemeinsam mit Deniz Kurku, Lars Konukiewitz, Stephan Weil und Susanne Mittag

Stephan Weil, Jubilarin Erika Boese, Susanne Mittag und Hamza Atilgan (von links nach rechts)

Renate von der Wöste, Landesvorstands-Ehrenmitglied Sozialverband VdK, mit Stephan Weil und Deniz Kurku

Große Herausforderungen in Zeiten multipler Krisen

Weil war schnell auf Hochtouren: „Welche Sorgen habt ihr euch vor fünf Jahren gemacht? Corona? Ja, der Anfang liegt mittlerweile eine halbe Dekade zurück. Dann gaben sich etliche weitere Krisen die Klinke in die Hand. So etwa die Energiekrise, die überbordende Inflation, die kriegerischen Handlungen in der Ukraine, im Nahen Osten und etlichen weiteren Brandherden.“ Ein Ende sei bislang tatsächlich nicht absehbar. Deutschland stehe zweifellos vor großen Herausforderungen. Die könnten jedoch nur in sozialer Gemeinsamkeit auch im europäischen Kontext beantwortet werden. Und schon startete er sein persönliches Politbarometer, das trotz aller Gelassenheit überzulaufen drohte:

„Macht euch nichts vor, wer die Alternative ist. Die Alternative zu Olaf Scholz ist Friedrich Merz. Muss ich dazu noch was sagen?“ Es genügte vollkommen, diese Frage unbeantwortet im Raum stehen zu lassen. Jeder wusste automatisch, welche Intention hinter diesem rhetorischen, aber nicht minder ernstem Statement steckte. Unbesehen dessen lieferte der Ministerpräsident eine Analogie aus der Vergangenheit um die Bedeutung seiner Worte zu untermauern: „Ich bin noch nicht fünfzig Jahre in der SPD, aber fast. Ich bin nämlich 1980 eingetreten. Und das war ein Bundestagswahlkampf von Franz Josef Strauß gegen Helmut Schmidt. Das ging auch schön zur Sache. Damals hat Helmut Schmidt über Strauß gesagt: Dieser Mann hat sichtlich keine Kontrolle. Und der darf erst recht keine Kontrolle über Deutschland bekommen. Mit ist kein Satz eingefallen, der das Ergebnis der letzten zwei Wochen präziser zusammenfasst.“

Klare und pragmatsiche Statements von Stephan Weil

Was in Berlin geschehen sei, als die CDU den Entschließungsantrag billigend und vorsätzlich mit den Stimmen der AfD durchgebracht habe, sei ein unverzeihliches Novum. Bis dahin habe er Friedrich Merz als einen immerhin konsensbereiten, und verlässlichen Menschen gesehen. „Mal abgesehen davon, dass er in der falschen Partei ist.“ Niemals habe Stephan Weil Zweifel gehabt, dass die Brandmauer hält. Erst recht vor dem Hintergrund dieser Geschehnisse könne die grundlegende Frage aber nur noch lauten: „Was muss geschehen, damit die AfD schwächer wird?“ Für die Antwort auf die selbstgestellte Frage bekam er applaudierende Zustimmung der Anwesenden: „Die anderen müssen besser werden.“

Was den meisten förmlich auf den Lippen brannte, aber erst auf Nachfrage einer Anwesenden zum Ausdruck kam: Weshalb schafft die SPD es nicht, ihre Argumente in der Gesellschaft wirklich öffentlichkeitswirksam zu kommunizieren? Warum hängt die Partei den eigenen Vorstellungen hinterher und pendelt sich bei gegenwärtig 16 Prozent ein? Die Sorgen der Bürgerinnen und Bürger seien im weitesten Sinne nahezu deckungsgleich, wenngleich in unterschiedlicher Gewichtung. Die SPD habe als Partei der Mitte zweifellos starke Argumente: „Warum kommt das nicht an?“ Die Antwort konnte nur lauten, dass seriöse Besonnenheit etwa in den vermeintlich sozialen Medien nicht zum tagesaktuellen Vokabular gehört. Am Ende aber spiegele Social Media nicht die letztgültigen Wahlergebnisse. Um es sportlich auszudrücken: Gewonnen wird auf dem Platz.

„Ich habe Angst“ – Wir müssen mehr machen

Aus dem Auditorium kamen tiefschürfende Gedanken mit durchaus bedrückenden Statements: „Ich habe Angst“, begann einer der Fragesteller, „Angst, dass die Amerikaner, Donald Trump, uns jetzt vorwirft, dass wir nicht – wie Joschka Fischer und Gerhard Schröder – an dem Krieg teilgenommen haben und er aus den Beziehungen rausgeht, sodass wir noch mehr Geld bezahlen müssen und unsere Preise noch extrem höher steigen. Wie kann man europäisch daran festhalten, dass nicht alles zulasten Deutschlands geht, weil wir nach dem Krieg zum Mittelpunkt Europas geworden sind.“

Stephan Weil: „Wir müssen uns alle darüber im Klaren sein, dass Europa und somit auch Deutschland von den USA unabhängiger werden muss.“ So müsse beispielsweise die Bundeswehr in die Lage versetzt werden, ihre Aufgaben zu erfüllen. Wenn sie das aufgrund der Unterversorgung nicht könne, bekämen das nicht nur wir selbst, sondern ebenso die anderen Länder mit. „Das Vertrauen ist schon tief erschüttert, das muss man so sagen.“ Laut Weil erleben wir derzeit eine hybride Kriegsführung, so etwa mit den sabotierten Datenkabeln in der Ostsee oder der Beeinflussung der Präsidentschaftswahlen in Rumänien.

Wir müssen mehr tun, ob uns das gefällt oder nicht

„Wir haben eine Spannung, die wir uns nicht vorstellen können und nicht vorstellen wollen. Wir müssen aus eigenem Interesse dafür sorgen, dass die Bundeswehrsoldaten aus eigener Kraft ihrer Aufgaben wieder wahrnehmen können.“ Dafür müsse man in Europa zusammenarbeiten, auch und gerade im Sinne der demokratischen Sicherheit. „Wir können uns in Deutschland auch nicht abhängig machen von der USA. Das sage ich alles nicht gerne, weil das Geld – und das ist ja nicht wenig – könnte ich mir woanders sehr viel besser vorstellen. Wir müssen mehr tun, ob uns das gefällt oder nicht.“ Und er zitierte Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius mit den Worten, man könne sich die Welt nicht ausmalen, sondern müsse sie so nehmen, wie sie ist.

Ehrlichkeit siegt: Stephan Weil beschönigte nichts

Weitere Themen der Veranstaltung waren etwa die Probleme von Bürgergeldempfängern, die von alleinerziehenden Müttern, die in ihrer Situation noch immer in ein finanzielles und soziales Loch fallen, oder die Personalversorgung mit Pädogogen an Schulen und weiteren Bildungseinrichtungen, wobei sich Schüler inzwischen Sorgen um ihre Abschlüsse machen. Zur Wahrheit gehört: Stephan Weil beschönigte nichts. So benannte er zwar, dass in Niedersachsen mit einer Versorgung von 96 Prozent eine grundlegend vernünftige Situation bestehe, es sich dabei aber lediglich um die Grundversorgung handele. Die Schwierigkeit existiere vielmehr darin, dass für angehende Pädagoginnen und Pädogagen der Weg in die Gymnasien attraktiver sei als in Haupt-, Real- und Förderschulen. Daraus resultiere ein großes Ungleichgewicht.

Dankesworte an Bundestagsabgeordnete Susanne Mittag

Die offene Fragestunde hätte offensichtlich noch endlos weitergehen können. Der Ministerpräsident hatte sich Zeit genommen, war auskunfts- und diskussionswillig und in bester Kommunkationslaune, während er zugleich die Genossen auf einen ambitionierten Endspurt im Wahlkampf einschwor. Als die Veranstaltung dann allerdings das Ende anvisierte, ergriff Lars Konukiewitz noch mal das Wort und wandte sich mit einem Dank an die aktuelle Delmenhorster Bundestagsabgeordnete der SPD Susanne Mittag. Wie inzwischen allgemein bekannt, steht Frau Mittag nicht für eine weitere Legislaturperiode zur Verfügung und wird ihr Mandat nicht erneuern. Voll offensichtlicher Überzeugung warb sie für Hamza Atilgan als ihren Nachfolger: „Der ist jung und richtig gut!“

Lars Konukiewitz bedankt sich im Namen der Partei bei MdB Susanne MIttag

((Titelbild von links nach rechts: Vorsitzender der SPD-Landesgruppe Delmenhorst Lars Konukiewitz, Ministerpräsident Stephan Weil, SPD-Landtagsabgeordneter für Delmenhorst Deniz Kurku))

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