Malerische Perspektiven auf die Welt im Haus Coburg

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Mit Helene Appel widmet sich die Städtische Galerie Delmenhorst einer außergewöhnlichen Malerin, die längst durch renommierte Galerien vertreten und mit Auszeichnungen wie dem Goslarer Kaiserringstipendium gewürdigt wurde.
„Helene Appel. Representation“ ist die erste institutionelle Übersichtsausstellung der 46-jährigen Künstlerin. Sie wird zunächst ab Sonnabend, 5. Februar, im Haus Coburg gezeigt und hat danach eine zweite Station im Museum Touchstones Rochdale in England. Parallel zu der Einzelausstellung werden in der Remise der Städtischen Galerie unter dem Titel „of matter. painting“ drei junge Künstlerinnen und Künstler präsentiert, mit denen Helene Appel an der Hochschule für Bildende Künste (HBK) Braunschweig gearbeitet hat.

Helene Appel malt Dinge des täglichen Lebens, etwa Nahrungsmittel, Stoffe, Fischernetze oder Bäume, Plastiktüten oder Pfützen. Sie hält sich dabei an ein malerisches Konzept: Freigestellt und in Originalgröße erscheinen ihre Motive auf unbehandelter Leinwand. Vor allem aber blickt Helene Appel stets in extremer Aufsicht auf den Bildgegenstand – im Film würde man von einem Top-Shot sprechen, aufgenommen im 90°-Winkel zum Objekt.
Schaut man sich die Werke genauer an, wird die Radikalität dieser Haltung deutlich. Denn Helene Appel entwickelt keine malerische Handschrift, betont nicht ihren unverwechselbaren Duktus. Stattdessen sucht sie für jeden ihrer Bildgegenstände eine adäquate Malmaterie und eine plausible Maltechnik. Für die Darstellung von rohem Fleisch verwendet sie Enkaustik – ein Verfahren, bei dem Farbe mit heißem Wachs aufgetragen wird. Für die Darstellung von Wasser arbeitet sie mit Aquarellfarbe, die die Leinwand durchtränkt. Geht es um Sand, so kollaborieren die gemalten Farbpunkte mit dem punktuell hochstehenden Stoffgewebe des Malgrunds.

Keine klassischen Stillleben

Es ist vor allem diese realitätsnahe Abbildungsweise, die sofort an klassische Stillleben denken lässt. Seit dem 16. Jahrhundert entstehen Gemälde von Nahrungsmitteln, drapierten Textilien oder kostbaren Pflanzen. Häufig ging es um allegorische Darstellungen von Luxusgegenständen, die in aufwendiger Inszenierung und realitätstäuschend an die Vergänglichkeit des irdischen Lebens erinnerten. Der malerische Illusionismus lieferte den Künstlerinnen und Künstlern nicht nur Gelegenheit, ihr handwerkliches Können zu demonstrieren, sondern war Teil eines moralischen Apells, sich nicht von der Oberfläche täuschen zu lassen. Die kunstvolle Setzung von Lichtreflexionen auf einem zerbrochenen Glas, wirkungsvoll verwelkende Blumen, auf der Jagd getötete Tierkörper, scheinbar achtlos verschütteter Wein, all diese Motive zielten auf ein „Memento mori“: Bedenke, dass Du sterben musst. Zugleich demonstrierten sie das pralle Leben, Wohlstand und Weltgewandtheit, denn der Besitz von feinen Textilien oder exotischen Pflanzen, das Stillleben selbst, setze immer auch die finanzielle Potenz des Auftragsgebers ins Bild. Obwohl auf diesen Werken keine Menschen vorkommen, handeln sie vom Homo Sapiens, seinen wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Erfolgen, demonstrieren seine kulturelle und moralische Bildung und Überlegenheit.

Eine ganz andere Dynamik entwickeln die Gemälde von Helene Appel, die zwar ähnliche Motive illusionistisch darstellen, aber auf den räumlichen Kontext verzichten. Es ist immer ein Objekt, auf das die Künstlerin ihre volle Konzentration richtet und dem sie auf Augenhöhe begegnet. Beispielsweise ein Fischernetz in seiner Gesamtheit darzustellen, ist ein Akt der Redundanz. Aus der Entfernung ist es kaum zu erkennen, die ungrundierte Leinwand von acht Quadratmetern scheint leer. Dass sie tatsächlich flächendeckend bemalt ist, wird erst im Näherkommen sichtbar und entwickelt eine hypnotische Sogwirkung. Obwohl das Netz aus immer gleichen Maschen filigraner Nylonfäden besteht, scheint jede Öffnung auf dem Bild individuell, nichts wiederholt sich hier. Konfrontiert mit dieser wandfüllenden Präsenz entfalten sich die Assoziationen in verschiedene Richtungen. Das Gemälde ruft verschiedene Techniken des Fischfangs in Erinnerung, ebenso wie die oft diskutierten Folgen von Überfischung und die Verunreinigung der Meere durch zerrissene Netze. Auch das kleinformatige Portrait einer Beinscheibe eröffnet große Imaginationsräume, in denen die Massentierhaltung ebenso vorkommt wie der kulturspezifische Fleischkonsum oder die Verschwendung und ungleiche Verteilung von Lebensmitteln in der Welt.

Die Kollegen

Zur Ausstellung entsteht ein mehrsprachiger Katalog, der im Hatje Cantz Verlag erscheinen wird. Die Ausstellung wäre nicht möglich ohne die großzügige Unterstützung durch die Oldenburgische Landschaft, das Niedersächsische Ministerium für Wissenschaft und Kultur und die Stiftung Kunstfonds. In der Remise der Städtischen Galerie werden parallel zur Einzelausstellung von Helene Appel die Werke von zwei jungen Künstlerinnen und einem Künstler aus der HBK Braunschweig gezeigt. Noemi Pradella-Kleibrink, Saskia Siebe und Jakob Zimmermann bewegen sich alle im Feld der Malerei, die sie mitunter ins Skulpturale und Räumliche erweitern. Helene Appel hat an der Hochschule mit ihnen gearbeitet, sich intensiv zu einzelnen Werken ausgetauscht, handwerkliche Methoden oder auch den zeitgenössischen Kunstbetrieb reflektiert. In Delmenhorst bietet die Ausstellung nun eine Gelegenheit, diese Zusammenarbeit weiterzuführen und verschiedene Erscheinungsformen der Malerei zu diskutieren.

Beide Ausstellungen werden am Sonnabend, 5. Februar 2022, von 12 bis 17 Uhr in einem Soft Opening eröffnet. Alle Künstlerinnen und Künstler sind anwesend, der Eintritt ist frei. Um die Auslastung der Räume auf maximal 70 Prozent zu reduzieren und die Veranstaltung unter 2G-Regeln durchzuführen, verzichtet die Städtische Galerie auf Eröffnungsreden. Bei Bedarf werden Zeitfenster für den Besuch eingerichtet. Besucher können ihre Teilnahme bis zum 3. Februar telefonisch unter (04221) 14132 oder per E-Mail an infostaedtische-galerie-delmenhorstde anmelden. Nur geimpfte oder genesene Personen können an der Eröffnung teilnehmen, entsprechende Nachweise sind vorzulegen. Für Erwachsene ist das Tragen einer FFP2-Maske im Haus Coburg Pflicht. Bei Kindern von sechs bis 14 Jahren genügt eine Alltagsmaske.

Bild: Helene Appel, Gully 2, 2021 Bildquelle: Jens Weyers

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