Hilferuf: Mehr als 100 Mitarbeiter unterzeichnen Brandbrief an den Delmenhorster Awo-Vorstand

In der vergangenen Woche kündigte zunächst der Geschäftsführer der Awo-Delmenhorst, Michael Venzke. Nach anschließender Kritik der Mitarbeiter am Awo-Vorstand in der Sache kam Tage später eine Antwort in Briefform an alle Awo-Mitarbeiter und Mitglieder. Darin lobte der Delmenhorster Awo-Vorsitzende Harald Groth seine eigene Arbeit und forderte sich zugleich selbst auf, weiterhin als ehrenamtlicher Vorstand im Amt zu bleiben. Ende vergangener Woche schließlich verfassten verzweifelte Awo-Mitarbeiter einen Brief  an den örtlichen Vorstand und den Kreisausschuss, in dem die sie deutliche Worte fanden. Wie kann es weiter gehen?

Wie desperat muss die Lage bei einem Arbeitgeber sein, wenn gleich 112 Mitarbeiter einen Brief, an den geschäftsführenden Vorstand unterschreiben, in dem sie die Zustände massiv anprangern. So am Donnerstag vergangener Woche bei der Awo Delmenhorst geschehen. Der Brief, der von Mitarbeitern unter anderem aus Krippen, Kindergärten, der Geschäftsstelle, der Personalabteilung und  der Tagespflege unterschrieben ist, liegt unserer Redaktion vor.

Die große Macht des Vorstands

Kostprobe aus dem Inhalt?  Die aktuelle Außendarstellung des Trägers lasse außer Acht, dass in den sozialen Diensten der AWO Delmenhorst die überwiegende Mehrheit der Menschen dort tätig ist, wo Menschen in Not sind. Wörtlich heißt es: „Doch wir sind uns einig, dass es an der Zeit ist, dass wir uns aktuell selbst am meisten helfen müssen, damit wir auch zukünftig weiter anderen Menschen helfen können, die auf unsere Hilfe vertrauen.

Mehrere Hundert Mitarbeitende sind abhängig von Ihnen, dem Vorstand und einer stabilen Geschäftsführung. Dies bringt große Verantwortung gerade für Sie mit sich, räumt Ihnen aber auch große Macht ein. Vor dem Hintergrund der fehlenden Konstante in der Geschäftsführung tragen Sie noch größere Verantwortung und auch noch größere Macht.“

„Immer wieder unterdrückt und beschämt worden“

Allerdings setzt der Vorstand diese Macht anscheinend auch gegen die Mitarbeiter ein. Wörtlich heißt es im Brief: „Immer wieder haben wir selbst erlebt und gehört, wie Mitarbeitende davon berichtet haben, wie sie mit ihren Anliegen und Bedürfnissen zurückgewiesen, unterdrückt und beschämt worden sind.“ Mitarbeiter der Awo Delmenhorst wurden von oben unterdrückt und beschämt? Hoppla! Heftige Vorwürfe.

Erschrecken über das „Groth-lobt-Groth“-Schreiben

Auch das am 24. Juni an die Mitarbeiter versendete Schreiben, in dem Harald Groth seine eigene Arbeit lobt, wird thematisiert: „Das Schreiben des Vorsitzenden an die Mitarbeiter und Mitglieder beispielsweise hat uns in Wortwahl und Inhalt enorm erschrocken. Zum ersten Mal konnten wir uns vorstellen, dass Berichte von teils ehemaligen Mitarbeitenden über Zurückweisung, Drohungen, Unterdrückungen und Beschämung durch in der Hierarchie hohe Vorgesetze in unserem Kreisverband tatsächlich passiert sind und passieren. Hierüber müssen wir dringend intern sprechen.“

„Politik von Groth(e)s Gnaden“

Tatsächlich sind dies allerdings nicht die ersten Vorwürfe dieser Art. Unter politisch interessierten Menschen ist es kein Geheimnis, dass Harald Groth und seine Frau Roswitha Ahrens-Groth offen ihre Macht gegen vermeintlich (politische) Gegner einsetzen, was ihnen bei allen berechtigten Erfolgen den gefürchteten Beinamen „die Baumstraße“ eingebracht hat. Bereits im Jahr 2017 hatte die Delmenhorster Zeitung (DZ) unter der Headline „Politik von Groth(e)s Gnaden“ bzw. „Das System Groth“ über das machtorientierte Agieren der beiden berichtet.

 

Allerdings war im Jahr 2017 noch nicht abzusehen, dass sich mal einmal mehr als 100 Mitarbeiter der Awo gegen diese Praktiken auf die Hinterbeine stellen würden.

Spöttischer Facebook-Post

Am Tag der öffentlichen Bekanntwerdung der Kündigung von Michael Venzke postete Roswitha Ahrens-Groth für alle sichtbar auf ihrer Facebook-Seite einen Scherz: „Ein kleiner Schmunzelwitz für meine Freunde: Sagt der Chef zum Mitarbeiter: ‚Wo waren Sie, ich habe Sie die ganze Zeit gesucht?‘ Der Mitarbeiter antwortet dem Chef: ‚Sag ich doch, gute Mitarbeiter sind schwer zu finden!‘“ Manchen Delmenhorster Awo-Mitarbeitern soll dem Vernehmen nach beim Lesen das Lachen im Halse stecken geblieben sein.

Lob für den Geschäftsführer

Noch-Geschäftsführer Michael Venzke, der nun fünfte Geschäftsführer binnen drei Jahren, steht derweil nicht im Feuer der Kritik: „Mit Michael Venzke hatten wir seit langer Zeit wieder eine Geschäftsführung, die für die Interessen der Menschen in Not gekämpft hat, indem er versucht hat, für uns gute Rahmenbedingungen zu schaffen. So konnten wir uns darauf verlassen, dass wir in dringenden Anliegen, schnellstmöglich eine Rückmeldung erhalten haben. Er hat uns und unsere Interessen und damit die Interessen der uns Anvertrauten an den richtigen Stellen platziert und uns den Rücken freigehalten.“ So schreiben es die Mitarbeiter über ihren scheidenden Geschäftsführer.

Kampf für die Awo

Bei allem Unbehagen gegenüber dem Vorstand zeigen sich die Mitarbeiter versöhnlich: „Wir kämpfen nicht gegen Sie, das wollten wir nie. Wir kämpfen für unseren Träger: Die AWO in Delmenhorst.“

Kein Kommentar von Harald Groth und Antje Beilemann

Äußern zu dem Brief der Mitarbeiter möchte sich Harald Groth nicht: „Ich sage dazu nichts, kein Kommentar.“ Auch seine Stellvertreterin, Alt-Bürgermeisterin Antje Beilemann, schweigt: „Ich möchte mich momentan nicht dazu äußern“, sagt auch sie auf Nachfrage.

Antje Beilemann äußert sich nicht zu der Angelegenheit.

Hilft der Bezirksverband?

Beim übergeordneten Bezirksverband in Oldenburg äußert sich Thore Wintermann auf Nachfrage zum Thema: „Wenn fast die Hälfte der Beschäftigten in einem Kreisverband so ein Thema in die Öffentlichkeit bringen, nehmen wir das sehr ernst“, sagt er. Allerdings sei bisher bei ihm keinerlei stichhaltige Beschwerde von Mitarbeitern aus Delmenhorst vorgetragen worden. „Wir können von unserem Recht auf Aufsicht nur dann Gebrauch machen, wenn es konkrete Anhaltspunkte für formale oder rechtliche Abweichungen gibt“, so Wintermann. Man habe allen Kreisverbänden schon länger empfohlen, ein Compliance Committee und eine Hinweisgeberstelle mit juristischem Sachverstand zu installieren. Wintermann sagt, man hoffe, dass die Situation durch einen Runden Tisch mit einem externen Vermittler geklärt werden könne. Ob das in der aktuell verfahrenen Situation so kommt, bleibt abzuwarten. 

Engagement in der Kreiskonferenz als Lösung?

Allerdings besteht für die Mitarbeiter womöglich noch eine weitere Möglichkeit zur Einflussnahme. Dies zeigt ein Blick in die Satzung der Awo Delmenhorst. Unter §7 geht es darin um die so genannte „Kreiskonferenz“. „Sie wählt den Kreisvorstand auf die Dauer von 4 Jahren, bis zu drei Revisorinnen/Revisoren und die Delegierten zur Bezirkskonferenz“, heißt es in der Satzung. „Scheidet zwischen zwei Kreiskonferenzen ein Vorstandsmitglied aus, so bedarf es keiner Ergänzung des Vorstandes. Jedoch kann der Kreisausschuss eine Nachwahl beschließen und durchführen.“

Auf Antrag des Bezirksverbandes oder auf Antrag von mindestens einem Drittel der Ortsvereine und Stützpunkte sei binnen drei Wochen eine Kreiskonferenz einzuberufen, heißt es in der Satzung.

Eine Frage der Mehrheit

Zwar ist auch in der Kreiskonferenz der Vorstand vertreten. Jedoch entsenden auch die Ortsvereine bzw. Stützpunkte  Delegierte in dieses Gremium. Ein langjähriger Awo-Insider nennt die Kreiskonferenz als Möglichkeit zur Einflussnahme. Er weist darauf hin, dass die Kreiskonferenz 30 Mitglieder habe. Mit mehr als 15 Mitgliedern habe man somit die Mehrheit. „Wenn man den Vorstand kritisiert, kann man auch selbst Verantwortung übernehmen. Die Awo braucht Leute zwischen 30 und 60 Jahren, denen muss man ermöglichen mitzutun. Das ist die Zukunft des Verbandes.“

Harald Groth ist nicht überall

Was manche(n) Mitarbeiter(in) vielleicht schon jetzt ein wenig tröstet: Harald Groth ist in der Awo nicht überall. Anders als auf der Website der Awo Niedersachsen noch zu lesen, ist er nicht mehr Vorsitzender des Bezirksverbandes Weser-Ems. Diesen Posten hat seit März Ulla Groskurt aus Osnabrück inne.

 

Bild ganz oben: Der Awo-Vorstand um Harald Groth steht massiv in der Kritik.

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