„Herzlich willkommen in Delmenhorst“- wie Flüchtlinge in der Stadt ankommen

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111 Flüchtlinge sind am heutigen Sonntag, den 20. Dezember 2015, neu in Delmenhorst angekommen. Delmenews konnte dabei sein, als die beiden Reisebusse um kurz nach zehn Uhr in der Weverstraße eingetroffen sind und die Menschen in der Bundeswehrsporthalle aufgenommen wurden.
 
Von Steffen Peschges – Um kurz nach zehn Uhr fahren zwei Reisebusse die Weverstraße hinauf. Am Seiteneingang der Kaserne, etwa in halber Höhe der Straße, werden die Ankommenden bereits von einer Delegation aus Stadtverwaltung und AWO, die für die Stadt die Sammelunterkünfte betreibt, sowie weiteren Hilfsorganisationen erwartet. Auch einige Ratspolitiker und Pressevertreter sind dabei. Es ist das erste Mal, dass die Delmenhorster Lokalpresse bei der Ankunft von Flüchtlingen einen Blick in ihre Sammelunterkunft werfen darf. Fotos sind verboten, um die Ankömmlinge nicht zusätzlich zu stressen.
 

Unterschied Kontingent- oder Amtshilfe-Flüchtling

Die heute eingetroffenen Flüchtlinge sind im Rahmen des Amtshilfeverfahrens vom Land Niedersachsen auf die niedersächsischen Kommunen verteilt worden. Darüber hinaus gibt es die sogenannten „Kontingentflüchtlinge“, die bundesweit in festgelegter Zahl auf die Kommunen verteilt werden. Während die Kontingentflüchtlinge durch die Stadt Delmenhorst registriert werden, werden die Amtshilfe-Flüchtlinge erst in einigen Wochen durch das Land Niedersachsen registriert.
 

Kleines Gepäck auf der großen Reise

Die beiden Reisebuse mit Osnabrücker Kennzeichen halten am Nebeneingang der Kaserne. 111 Menschen sind es, die hier und heute in Delmenhorst ankommen. Sie sind per Zug aus Süddeutschland gekommen, ehe sie in Hannover in die beiden Busse Richtung Delmenhorst gestiegen sind. Die Staufächer der Busse öffnen sich. Das Gepäck, das sie preisgeben, ist weniger als das, was ein Bus voller Urlauber für eine einwöchige Reise mitnehmen würde. Ein großer Rucksack oder eine Tasche, mehr haben die meisten hier nicht dabei. Die Menschen wirken müde, unter ihnen sind auch viele Kinder und Kleinkinder.
 

„Herzlich Willkommen“ heißt es im Zelt

In einem großen, vielleicht 400 Quadratmeter großen Zelt nehmen sie auf Bierzeltgarnituren Platz und blicken Richtung Stirnseite. Dort stehen Oberbürgermeister Axel Jahnz, die städtischen Fachbereichsleiter Petra Gerlach und Rudolf Mattern sowie Hauptmann Wilfried Gasiorek von der Bundeswehr. Der Empfang durch die Stadt ist sehr freundlich. Oberbürgermeister Jahnz stellt sich vor und erklärt den Menschen, dass die Stadt viel dafür tun werde, dass sie sich hier wohlfühlen und hier ein Zuhause finden können. Da seine Worte nur die wenigsten Zuhörer verstehen, übersetzen vier Mitglieder des Integrationslotsenteams auf arabisch und in regionale Sprachvarianten.
 
Petra Gerlach weist noch darauf hin, dass die Menschen nun in Norddeutschland seien, dass sie sich Ruhe und ein warmes Essen gönnen sollen. Wer weiterreisen wolle, solle sich bitte melden. Es sind rund 40 Menschen, die die Hand heben und zur Weiterreise entschlossen sind. Petra Gerlach sagt: „Sie dürfen reisen solange sie wollen, aber bitte in eigener Verantwortung, wir dürfen das nicht organisieren.“
 

Pilze meiden, keine Angst vor der Uniform

Und dann folgen noch ein paar pragmatische Tipps. Da viele Flüchtlinge vor Krieg und Terror geflohen sind, weist Petra Gerlach darauf hin, dass niemand vor den uniformierten Soldaten Angst haben müsse, dass ihren Anweisungen aber unbedingt Folge zu leisten sei. Auch dass in Deutschland in Gebäuden nicht geraucht werde, sagt sie. Und: „Die Pilze hier sind nicht essbar, geben die das bitte auch an ihre Kinder weiter.“
 

Personalien, Kleider, Decken

Nach der Ansprache werden die Menschen gruppenweise in die Sporthalle gebracht, die nun für viele ihr kurzfristiges neues Zuhause wird. Dort werden von der Stadt Delmenhorst die Personalien aufgenommen, anschließend können sie sich mit Hygieneartikeln, Kleidern aus der AWO-Kleiderkammer sowie Decken versorgen lassen. Familien mit kleinen Kindern sind als erstes an der der Reihe. Die Integrationslotsen, die für die Verständigung in arabischer Sprache sorgen, agieren mit einer Mischung aus Freundlichkeit und Bestimmtheit.
 
Doch plötzlich wollen alle auf einmal aus dem Zelt in die Halle. Die Integrationslotsen müssen etwas energischer werden und erklären noch einmal die Regeln. Ein kleines Kind fängt an zu schreien. Doch rasch entspannt sich die Lage wieder. An der Längsseite des Zelts werden Schalen mit gemischtem Obst und Getränke ausgegeben.
 

Sehr gute Zusammenarbeit

Für die Stadtverwaltung ist jeder Bus mit Flüchtlingen aus Hannover buchstäblich eine Wundertüte. Bekannt ist vor dem Eintreffen weder, woher die Menschen kommen, noch, ob es Familien oder Einzelflüchtlinge sind und auch nicht, wie viele Kinder dabei sind. Das schafft das Problem, dass die Helfer nicht wissen, wie viele Kinderbetten benötigt werden oder ob vielleicht ein Rollstuhl gebraucht wird. Um so wichtiger ist eine gute Zusammenarbeit der beteiligten Akteure. Und die, das hört man immer wieder von allen Seiten, klappt in Delmenhorst hervorragend.
 
Die Stadtverwaltung, die AWO, die zahlreichen Hilfsorganisationen wie DRK, Malteser, die Integrationslotsen, Bundeswehr, Polizei und die zahlreichen ehrenamtlichen Helfer arbeiten demnach Hand in Hand. Doch der Blick vor Ort zeigt, vor welchen Herausforderungen die Helfer stehen.
 

„Das ist hier nicht wie im Büro“

„Das ist hier eine andere Situation als in einem Büro am Schreibtisch“, sagt Axel Jahnz, „ohne Teamfähigkeit würde es nicht gehen.“ Zwei Mal pro Woche, sagt Jahnz, gibt es in seinem Büro eine Stabssitzung, an der auch Vertreter von Polizei und Feuerwehr teilnehmen. Dann wird die aktuelle Situation besprochen. „Es sieht hier alles so leicht aus, aber es ist straff organisiert“, sagt Axel Jahnz.
 

180 Betten in einer Sporthalle

Wir können einen Blick in die Sporthalle der Bundeswehr werfen, die inzwischen seit gut fünf Wochen als Flüchtlingssammelunterkunft dient. Wir schauen dorthin, wo viele der heute angekommenen Menschen in den kommenden Tage und Wochen, vielleicht sogar Monaten, leben werden. Und wo auch schon seit Wochen Menschen, teilweise ganze Familien, leben. Und dieser Einblick kann einen durchaus betroffen machen. In der Halle stehen, parallel in einer Reihe im Abstand von je gut einem Meter, Doppelstockbetten, neun Stück nebeneinander.
 
Rund anderthalb Meter vor dem Fußende kommt die nächste Neunerreihe. Bündig daran wiederum stehen mit Pappe bespannte Bauzäune,die für eine optische Trennung zu den nächsten 36 Betten sorgen. Insgesamt stehen in dieser Konstellation 180 Betten in der Halle. Noch unbelegte Matratzen sind in einem blauen Sack verpackt. Und um den Sporthallenboden nicht zu beschädigen, hat ihn die Bundeswehr mit einer Holzschicht verkleidet.
 

„Wer hier kalt bleibt, hat ein Herz aus Stein“

Logistisch ist alles sehr gut gelöst. Und die Doppelstockbetten sind auch sicher bequemer als die Feldbetten, die in anderen Städten zum Einsatz kommen. Menschlich ist der Anblick allerdings nur schwer zu verdauen. In dieser Enge ohne Privatsphäre müssen mehr als einhundert Menschen über Tage, Wochen oder gar Monate leben und das teilweise mit Kindern. Auf der Längsseite eines Bettes sitzen vier junge Frauen. Eine junge Familie kommt mit ihrem soeben erhaltenen Bettzeug vorbei und macht sich auf den Weg in Richtung ihrer Betten. „Wer hier kalt bleibt, hat ein Herz aus Stein“, sagt Stadtsprecher Timo Frers. Und auch Oberbürgermeister Axel Jahnz hat es bereits in ähnlicher Form ausgedrückt.
 

Familien und Einzelreisende werden getrennt

Für die Koordinierung sind die AWO-Mitarbeiterinnen Saskia Kamp und Gabi Baumgart (pädagogische Leitung) zuständig. Saskia Kamp, der die Zuweisung der Betten obliegt, sagt, dass Familien und alleinreisende Männer in unterschiedlichen Bereichen der Halle untergebracht würden. Dadurch sollen die Frauen geschützt werden.
 

Hohes Stresslevel, falsche Vorstellungen

„Die Menschen, die hierherkommen, haben ein hohes Stresslevel“, sagt Saskia Kamp zudem.Vor Ort versuche man daher zunächst einmal, sie zu entschleunigen und ihnen zu zeigen, dass sie hier einen Ruheraum haben. Denn manche Menschen, die hierher kämen, verstünden das deutsche System nicht. „Sie kommen mit bestimmten Vorstellungen, die sich über die sozialen Netzwerke ausbreiten“, sagt Saskia Kamp. Doch nicht immer entsprechen diese Vorstellungen der Realität. „Und wenn sie dann sehen, dass der eine etwas bekommen hat, was sie selbst noch nicht haben, fühlen sie sich hilflos.“ Daher versucht das Team klarzumachen, dass es Schritt für Schritt vorwärts geht und in puncto Bürokratie eben nicht alles auf einmal möglich ist. Laut Saskia Kamp gab es bereits Hungerstreikandrohungen, die aber geklärt werden konnten.
 

Das Zelt als Ausweichraum

Seit anderthalb Wochen gibt es vor der Halle das besagte Zelt, in dem auch die Neuankömmlinge willkommen geheißen wurden. Es ist ein Raum, in dem man mal die Enge der Halle hinter sich lassen kann, oder wo Kinder auch mal toben können. Im kommenden Jahr soll es laut Gabi Baumgart auch eine Nachmittagskinderbetreuung geben.
 

Verweildauer unbekannt

Wie lange die Flüchtlinge in der Halle an der Weverstraße verbleiben, kann niemand sagen. Rund die Hälfte von ihnen reist weiter, entweder noch am gleichen Tag, oder Tage oder Wochen später.
In einem kleinen Registrierungsbüro in der Turnhalle werden die Personalien aufgenommen, damit die Stadt zumindest die Daten ihrer Gäste kennt. Die offizielle Registrierung ist dies allerdings nicht. „Die erfolgt Wochen später durch das Land Niedersachsen“, erklärt Axel Jahnz. Diejenigen, die hier bleiben wollen, können sich in Schwanewede registrieren lassen, dort ist die nächstgelegene Registrierungsstelle. Dorthin werden auch von offizieller Stelle Bustouren organisiert.
 
Apropos Bus: Da die Sporthalle buchstäblich am Ende der (Delmenhorster) Welt liegt, hat die Delbus nach Aussage von Axel Jahnz inzwischen eine Buslinie organisiert, sodass Flüchtlinge die Möglichkeit haben in die Stadt zu kommen oder zur Weiterreise zum Bahnhof.
 

„Delmenhorst, Delmenhorst“

Auch wenn es befremdlich, vielleicht sogar erschreckend ist zu sehen, dass die Menschen aufgrund der Umstände auf engem Raum leben müssen, ist es gut zu wissen, dass die Zusammenarbeit aller vor Ort Beteiligten sehr gut klappt und viel für die Menschen getan wird. Hier gibt es eben keine solch katastrophalen Zustände wie in Berlin vor dem Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo), wo die Menschen nachts vor dem Amt schlafen müssen und die Situation regelmäßig eskaliert. Als wir das Gelände verlassen, telefoniert ein Flüchtling mit seinem Handy, bei ihm ein Integrationslotse. „Delmenhorst“, sagt der Geflüchtete in das Handy, dann wiederholt er, „Delmenhorst, Delmenhorst“. Ob es seine neue Heimat wird? Es bleibt abzuwarten.
 

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