Delmenhorster Autismuszentrum gut angelaufen – Hilfe für Betroffene und deren Umwelt

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Autismus polarisiert. Viele halten das Phänomen für eine Modeerscheinung. Das zumindest findet Bettina Paul, Inhaberin des Autismuszentrums Delmenhorst in der Moorkampstraße 65. Um Betroffenen und ihrer Umwelt zu helfen, hat sie im April das Autismuszentrum Delmenhorst gegründet. Und Beratungsbedarf gibt es nicht nur bei ihren Kunden.
 
Paul hat viel Erfahrung im Umgang mit der teils anspruchsvollen Gruppe der Autisten. Sie war jahrelang Leiterin des Lebenshilfebereiches der AAF im Autismus-Bereich. Und betroffen sind mehr Leute, als viele denken. Etwa jede 5. bis 7. Person von 1.000 Einwohnern hat Autismus – in Delmenhorst allein schätzungsweise 600 Menschen.
 

Passende Diagnose oft erst nach Jahren gestellt

Der Begriff Autismus umfasst ein breites Spektrum und beruht vermutlich auf genetischen Ursachen. Er wird also vererbt. Laut Paul werden öfters Jungen als Mädchen als Autisten diagnostiziert. Introvertiertheit, die häufig bei Autisten auftritt, würde Mädchen häufiger als natürliche Verhaltensweise zugerechnet. „Deswegen sind Jungs eher im Fokus als Mädchen“, findet Paul.
 
Doch auch wenn Kinder auffälliges Verhalten zeigen, müssten viele Eltern erst verschiedene Tests durchführen lassen, bis vorhandener Autismus diagnostiziert würde. „Bis sie überhaupt die Diagnose bekommen, sind die Eltern oft von A nach B gelaufen“, weiß Paul. Dass es heute mehr Autisten als früher gibt, findet Paul nicht. Vielmehr seien mehr Fachkräfte und bessere Diagnosen entwickelt worden, sodass Autismus häufiger entdeckt würde.
 

Autisten ungeschickt im sozialen Umgang

„Kennst du einen Autisten, kennt du einen Autisten“, betont Paul. Doch obwohl jeder ihrer Kunden ein Individuum ist, gibt es verschiedene Anzeichen, die viele Autisten zeigen. Das Klischee, mangelnder Augenkontakt sei eins davon, kann sie nicht bestätigen. Viele Autisten würden so erzogen, dass sie ihr Gegenüber anschauen. Der Augenkontakt falle aber oft starr aus und werde nach einiger Zeit glasig, da die Autisten sich nicht mehr auf ihren Gesprächspartner konzentrieren. Autisten filtern keine unwichtigen von wichtigen Informationen. Daher werden sie schnell abgelenkt.
 
Viele Autisten haben laut Paul eine flache Mimik, die eher wenige Gesichtsausdrücke umfasst. Dafür sind ihre Sinne oft empfindlicher. So habe sich ein Kind geweigert, seinen Vater zu umarmen. Wie Paul im Gespräch erfuhr, benutzte der Vater ein intensives Aftershave, das dem Sohn nicht gefiel.
 

Empathie oft eingeschränkt

Auch durch geringe Empathie, Äußerungen wortwörtlich nehmen und unverhältnismäßiges Verhalten fällt Autisten der Umgang mit anderen Menschen schwer. Ein anderer Kunde von Paul im Kindesalter habe ein Kind, das ihm beim Spielen die Tür vor der Nase zuschlug, richtig geschlagen.
 

Therapie hilft beim Umgang mit der Umwelt

Sobald die Diagnose steht und die Kostenübernahme durch Stadt oder Landkreis gesichert ist, kann Paul mit ihrer Therapie beginnen. Die soll ihren Kunden helfen, sich selbst und andere besser wahrzunehmen. Bei einer Übung geht es etwa darum, einen kleinen Leuchtstab anzufassen. Wird er zu fest gedrückt, leuchten die Lampen auf. Das soll helfen, beim Händedruck die richtige Stärke zu finden. Bei anderen Übungen werden mithilfe von Bilderkarten verschiedene Gesichtsausdrücke Gefühlen zugeordnet.
 
Ihre Kunden selbst hätten übrigens auch ein reichhaltiges Gefühlsleben, betont Paul. Nur zeigen tun sie das selten. Doch genau wie an der Ausfilterung unwichtiger Infos im Alltagsleben kann die Therapie auch dabei helfen. Einige Kunden erhalten erst als Erwachsene die Diagnose, sodass nicht nur Kinder und Jugendliche im Zentrum zu finden sind. Pauls ältester Kunde ist 40 Jahre alt.
 

Auch Ansprechpartner für Umfeld

Nicht nur Autisten selbst, sondern auch deren Umfeld können bei Paul und ihrer Mitarbeiterin Marina Münstermann Hilfe bekommen. Denn der Umgang mit Betroffenen sei nicht einfach, meint Paul. So hätten ihre Kunden oft etwas gegen spontane Familienausflüge bei Schönwetter am Wochenende. Hier helfe ein zweiteiliger Wochenend-Plan für Aktivitäten bei schlechtem und gutem Wetter. „Eltern müssen genau so viel lernen wie ihre Kinder“, sagt Münstermann. Das gelte auch für Geschwister, Lehrer und Chefs.
 
Im Oktober plant Paul einen Elternabend für die Angehörigen ihrer Kunden, damit die sich gegenseitig austauschen können. Aktuell hat sie zehn Kunden. Gut doppelt so viele stehen auf der Warteliste, bis ihre Kostenübernahme von Stadt oder Landkreis zugesichert wird.
 

Weitere Therapieangebote im nächsten Jahr geplant

Gleich mehrere Zusatzangebote für Therapien will Paul nächstes Jahr anbieten. Angefangen bei Kochkursen und dem Anbau von Gemüse bis zum gemeinschaftlichen Neubau eines Schuppens im Garten des Therapiezentrums durch Eltern und Kinder reichen ihre Ideen. Anfragen nimmt Paul unter (04221) 981 2090 entgegen.
 
Foto oben: Marina Münstermann (links) und Bettina Paul vom Autismuszentrum helfen ihren Kunden, sich selbst und andere besser zu verstehen.
 
Foto unten: Autisten können keine unwichtigen von wichtigen Infos filtern (Pfeile). In der Therapie lernen sie aber, Filterbarrieren (Halbkreise um den Kopf) zu entwickeln. Das Bild stammt von einem von Pauls Kunden.
 

 

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