Delmenhorst rast mit 100 Sachen auf die graue Wohnungsnot zu
Delmenhorst kommt in die Jahre – und ist auf das Wohnen der älteren Menschen nicht vorbereitet: Die Baby-Boomer gehen bis 2035 komplett in Rente, dann werden in unserer Stadt rund 18.800 Menschen im Ruhestand sein. Doch es fehlen Seniorenwohnungen an allen Ecken und Enden!
Die Wissenschaftler des Pestel-Instituts warnen in ihrer Regional-Untersuchung zum Senioren-Wohnen: „Der Wohnungsmarkt in Delmenhorst ist mit der neuen Rentnergeneration der geburtenstarken Jahrgänge komplett überfordert“, sagt Institutsleiter Matthias Günther. Schon jetzt gebe es einen massiven Mangel an altersgerechten Wohnungen. „Das wird sich in den nächsten Jahren allerdings noch enorm verschlimmern. Oder anders gesagt: Delmenhorst rast mit 100 Sachen auf die graue Wohnungsnot zu“.
Kinderwagen statt Rollator
So gibt es aktuell rund 38.600 Haushalte in Delmenhorst. In 33 Prozent davon leben Senioren. „Bereits heute braucht die Stadt rund 3.000 Wohnungen für die älteren Menschen, die nicht mehr gut zu Fuß sind. Doch diese Seniorenwohnungen gibt der Wohnungsmarkt in Delmenhorst bei weitem nicht her“, sagt Matthias Günther. Eigentlich sei der Bedarf sogar noch höher, so das Pestel-Institut. „Denn ein Großteil der altersgerechten Wohnungen wird noch nicht einmal von Älteren bewohnt. Oft nutzen nämlich auch Familien den Komfort einer Wohnung ohne Schwellen, mit breiten Türen, Fluren und Räumen. Denn wo das Leben mit einem Rollator klappt, da kommt man auch mit einem Kinderwagen klar“, sagt Matthias Günther.
Neben dem Neubau sei deshalb vor allem eine Sanierungsoffensive notwendig, um für mehr seniorengerechte Wohnungen in Delmenhorst zu sorgen. „Doch die ist bislang nicht in Sicht: Das Fatale ist, dass wir dazu politisch nur eine Vogel-Strauß-Taktik erleben. Statt mit einem effektiven Programm fürs Senioren-Wohnen das Problem anzupacken, hat vor allem der Bund den Kopf in den Sand gesteckt und die graue Wohnungsnot seit Jahren ignoriert“. Das müsse sich jetzt dringend ändern, fordert Katharina Metzger. Sie ist Präsidentin des Bundesverbandes Deutscher Baustoff-Fachhandel (BDB), der die Regional-Untersuchung zum Senioren-Wohnen beim Pestel-Institut in Auftrag gegeben hat. An die Adresse der Bundestagsabgeordneten von CDU und SPD aus Niedersachsen richtet Katharina Metzger einen eindringlichen Appell: „Das Wohnen muss bei den Koalitionsverhandlungen ein absoluter Schwerpunkt sein. Der Wohnungsbau braucht einen gewaltigen Schub. Es ist wichtig, dass die CDU und die SPD in Delmenhorst dieses ‚SOS-Notsignal fürs Wohnen‘ deutlich nach Berlin funken.“
Wohnungsnot und Arbeitslosigkeit
Der Bund habe den Neubau von Wohnungen zu wenig und außerdem auch noch falsch gefördert: „Statt wenige Gebäude mit übertriebener Klimaschutztechnik zu fördern, muss der Bund künftig deutlich mehr Geld für mehr Wohnungen in die Hand nehmen, die dann auch barrierearm sein müssen. Was er bislang in das Senioren-Wohnen investiert hat, ist nicht mehr als der Tropfen auf dem heißen Stein“, so Metzger. Gemeinsam mit den Wissenschaftlern vom Pestel-Institut warnt der Baustoff-Fachhandel eine von Friedrich Merz geführte Bundesregierung davor, beim Wohnungsbau die politische „Weiter-so-Taste“ zu drücken: „Wenn sich die Wohnungsbau-Krise weiter zuspitzt, wird das auch in Delmenhorst einen erheblichen Verlust von Arbeitsplätzen auf dem Bau bedeuten. Dabei geht es um die Jobs von Bauarbeitern, die in Delmenhorst dringend gebraucht werden – für den Neubau und für das Sanieren von Wohnungen“, sagt Matthias Günther.
Bei Senioren, die zur Miete wohnen, warnt das Pestel-Institut vor Altersarmut: „Bei vielen Baby-Boomern gab es immer wieder Phasen von Arbeitslosigkeit. Außerdem waren die geburtenstarken Jahrgänge die, die oft zum Niedriglohn gearbeitet haben. Also gehen viele der Baby-Boomer mit einer eher kleinen Rente nach Hause. Ihre Miete können sie sich damit nicht mehr leisten. In Zukunft werden also deutlich mehr Menschen als heute in Delmenhorst auf staatliche Unterstützung angewiesen sein, um überhaupt ein Dach über dem Kopf zu haben“, so die Prognose von Pestel-Institutsleiter Günther.
Seniorenwohnung vs. Heimplatz
So liegt die durchschnittliche Kaltmiete in Delmenhorst aktuell bei rund 6,30 Euro pro Quadratmeter. „Noch jedenfalls“, sagt Ökonom Matthias Günther. Denn das werde sich deutlich ändern, wenn der Staat nicht bereit sei, den Neubau von Seniorenwohnungen und den altersgerechten Umbau bestehender Wohnungen kräftig zu unterstützen. Dabei warnt der Wissenschaftler: „Eine Wohnung altersgerecht zu machen, kostet Geld und schraubt die Miete nach oben. Aber eine höhere Miete können sich viele Ältere einfach nicht leisten. Und erst recht nicht die Kosten für eine seniorengerechte Sanierung ihrer Wohnung.“ Dabei sei es für die öffentlichen Kassen in der Regel sogar deutlich günstiger, altersgerechten Wohnraum zu schaffen: „Andernfalls sind Ältere nämlich gezwungen, ins Heim zu gehen. Und die Kosten für einen Heimplatz stehen auf Dauer in keinem Verhältnis zu dem, was der Staat investieren müsste, um eine altersgerechte Wohnung zu schaffen“, so Pestel-Institutsleiter Matthias Günther.
Bildquelle: Nils F. Hillebrand
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