80 Jahre Befreiung von Auschwitz: Gedenktag in der Markthalle Delmenhorst mit dringendem Appell von Oberbürgermeisterin Gerlach
Der Sowjetischen Armee bot sich am 27. Januar 1945 in Auschwitz-Birkenau ein schreckliches Bild: Sie fanden mehr als 7.000 ausgemergelte Überlebende in zum Teil lebensbedrohlichem Gesundheitszustand, darunter auch viele Kinder. Mehr als eine Million Menschen ist im Konzentrationslagern von den Nazis umgebracht worden, vor allem Juden, aber auch Sinti, Roma, Homosexuelle und Kriegsgefangene. Das Greuel des Holocaust lag am heutigen Tag 80 Jahre zurück. Deutschlandweit als auch über die Grenzen hinaus wurde diesem Tag gedacht. So auch in Delmenhorst, wo sich viele Mitfühlende mit der gebotenen Pietät zur Veranstaltung in der Markthalle einfanden. Die Trauer und Furcht ist auch nach acht Dekaden zu spüren und in den Gesichtern abzulesen. Augen, die ihre ganz eigene betroffen Sprache sprechen.
Die Delmenhorster Oberbürgmeisterin Petra Gerlach fand gleich zu Beginn der Gedenkfeier zum 80. Jahrestag der Befreiung des früheren Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau mahnende Worte. So betonte sie, dies sei ein wichtiger Tag für unser ganzen Land, umso mehr, als Anfeindungen, Judenfeindlichkeit und Rassismus in der heutigen Aktualität wieder zunehmen würden. Mit eindringlichen Worten beschrieb sie das Elend, das die Deportierten in der Zeit des Nationalsozialismus erfahren hatten, und wies ebenso darauf hin, dass die Zeitzeugen des Unfassbaren immer weniger werden. Dabei wandte sie sich zugleich an die jüngeren Anwesenden und bat – verbunden mit einem Dank für das Erscheinen: „Seid neugierig und fragt nach!“ Es sei wichtig einander zuzuhören. Und sicherlich gebe es noch Menschen, die gerne reden würden. Gedenken brauche Wissen und nur so könne die Geschichte weitergetragen werden. Das sei der einzige Weg, dass sich solche Ereignisse niemals wiederholen werden.
Schlimmster Progrom seit 1945 – Mission des Grauens
Unmittelbar danach übernahm Gennadiy Fish, zweiter Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Delmenhorst e.V., mit hörbar betroffener Stimme das Wort. Er thematisierte insbesondere das aktuelle Geschehen in Israel und dem Gaza-Streifen. So entstehe bei ihm das Gefühl, die von der Hamas Ermordeten als auch die Entführten würden in der öffentlichen Wahrnehmung zur Nebensächlichkeit. Er verwies darauf, dass die militärische Reaktion Israels selbstvertändlich erwartbar war. Erlebt habe man den schlimmsten Progrom seit 1945, eine Mission des Grauens. Obschon eine Parallele zum Holocaust schwer zu ziehen sei, denn als die Sowjetische Armee Auschwitz befreit hatte, war der Geruch der verbrannten Leichen noch allgegenwärtig.
Eindrucksvolle Untermalung durch den Chor Shalom
An die Begrüßungsreden anschließend trug der Chor „Shalom“ eine Reihe von Liedern vor, mit denen er die jüdische Kultur und Religion aufrechterhalten möchte. Und zwar durchaus beeindruckend. Die spezielle jiddische Musik zeichnet sich musikalisch durch einige Wendungen und Modulationen von Moll zu Dur sowie einig, Tonartwechseln aus, bei denen selbst junge Chöre an ihre Grenzen kommen. Nicht so aber die dem Anlass der Feier entsprechend größtenteils sehr betagten Sängerinnen und Sänger. Mit Souveränität, Demut, aber auch Hoffnungsfreude ließen sie die melancholischen Melodien erklingen.
So begannen sie das Programm mit dem Gebet „Ose Shalom“ (Gott, du meine Hilfe, du Weltbegründer), fuhren fort mit traditionellen Liedern wie „Hinematov“ (Wir alle sind Brüder) oder „Toda“ (Wir danken dir für alles), bis sie schlussendlich mit dem Wunsch und zugleich Aufforderung endeten: „Eweinu Shalom Alehem“: Wir sind für Frieden. Die Stimmen wirkten nicht gebrochen, aber allemal nachdenklich und betroffen.
Bild oben (von links): Gennadiy Fish, zweiter Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Delmenhorst e.V., Oberbürgermeisterin Petra Gerlach, Dr. Norbert Boese, ehemaliger Oberstadtdirektor von Delmenhorst und Vorsitzender des Freundes- und Förderkreises der Jüdischen Gemeinde Delmenhorst.
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